Fürsorgepflicht des Dienstherrn bei Entscheidung über Abordnung oder Versetzung

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23.05.05, 2 BvR 583/05

Die aus Art. 33 V GG folgende Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten verpflichtet den Dienstherrn, im Rahmen der Ermessensentscheidung hinsichtlich einer Abordnung substanziierte Anhaltspunkte für eine Gesundheitsschädigung des Beamten angemessen zu berücksichtigen und zwischen den Belangen des Beamten und den dienstlichen Bedürfnissen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abzuwägen. Damit ist die Auffassung unvereinbar, selbst eine etwaige psychische Erkrankung des Beamten vermöge den gesetzlichen Wertungsvorrang zu Gunsten eines Sofortvollzugs der Abordnung nicht umzukehren.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer, Regierungsdirektor im Justizdienst des Landes Rheinland-Pfalz, war zuletzt stellvertretender Leiter der Justizvollzugsanstalt in D. Durch Verfügung des Ministeriums der Justiz vom 07.07.04 wurde er mit Wirkung vom 01.01.05 bis auf weiteres an die Justizvollzugsanstalt in W. abgeordnet. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg; über die erhobene Klage ist noch nicht entschieden.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ordnete das VG mit Beschluss vom 21.12.04 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an. Zwar sei das Ministerium angesichts der bestehenden Spannungslage an der bisherigen Dienststelle voraussichtlich zu Recht von einem dienstlichen Bedürfnis für die ausgesprochene Abordnung ausgegangen. Die Entscheidung erweise sich jedoch angesichts der geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen - jedenfalls derzeit - als fehlerhaft. Denn der Beschwerdeführer habe nicht nur eine fachärztliche Bescheinigung über gesundheitliche Einschränkungen psychischer Art vorgelegt, vielmehr ergebe sich aus dem Attest auch, dass bereits die Ankündigung der Abordnung zu einer starken Zuspitzung der Symptomatik geführt habe und dass beim Vollzug der Abordnung mit einer nachhaltigen gesundheitlichen Verschlechterung zu rechnen sei. Diesen substanziiert vorgetragenen Einwänden, die einer Abordnung des Beschwerdeführers möglicherweise entgegenstehen könnten, sei der Dienstherr jedoch nicht nachgegangen. Anlass hierzu habe jedoch bereits deshalb bestanden, weil der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2003 wiederholt dienstunfähig erkrankt gewesen und derzeit nur zu 50% dienstfähig sei. Vor dem Hintergrund der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht habe die Abordnung deshalb jedenfalls solange zu unterbleiben, bis die geltend gemachten Gesundheitsgründe - etwa durch amtsärztliche Untersuchung der gesundheitlichen Risiken - hinreichend aufgeklärt seien.

Auf die Beschwerde des Landes hin hob das OVG die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf und lehnte den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Auch eine etwaige psychische Erkrankung des Beschwerdeführers vermöge nicht den gesetzlichen Wertungsvorrang zu Gunsten des Sofortvollzugs der Abordnung umzukehren. Angesichts der besonderen Sicherheitsrisiken sei im Bereich des Strafvollzugs eine reibungslose und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf der Ebene der Anstaltsleitung vielmehr zwingend erforderlich.

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Aus den Gründen:


1. Der angegriffene Beschluss des OVG verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 33 V GG.

a) Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, die gem. Art. 33 V GG zu beachten sind (vgl. BVerfGE 8, 332 [356f.] = NJW 1959, 89; BVerfGE 43, 154 [165 f.] = NJW 1977,1189; BVerfGE 46, 97 [117] = NJW 1978, 533; BVerfGE 83, 89 [100] = NJW 1991, 743; BVerfGE 106, 225 [232] = NVwZ, 2003, 720). Sie verpflichtet den Dienstherrn, bei seinen Entscheidungen die wohlverstandenen Interessen des Beamten in gebührender Weise zu berücksichtigen. Substanziierte Anhaltspunkte für eine Gesundheitsschädigung des Beamten sind daher auch im Rahmen der Ermessensentscheidung des Dienstherrn hinsichtlich der Abordnung angemessen zu berücksichtigen.

b) Diesen, aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben folgenden Maßstab hat das OVG in der angegriffenen Entscheidung verkannt. Mit seiner Auffassung, selbst eine etwaige psychische Erkrankung vermöge den gesetzlichen Wertungsvorrang zu Gunsten eines Sofortvollzugs der Abordnung nicht umzukehren, missachtet das OVG die aus Art. 33 V GG folgende Berücksichtigungspflicht. Die vom Grundgesetz geforderte Abwägung zwischen den Belangen des Beamten einerseits und den dienstlichen Bedürfnissen andererseits ist daher unterblieben. Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme oder zu möglichen Alternativen finden sich demgemäß nicht.

c) Hieran vermag auch der vom OVG gegebene Hinweis auf die besonderen Anforderungen an die vom Beschwerdeführer derzeit ausgeübten Aufgaben nichts zu ändern. Dies ergibt sich zunächst schon daraus, dass der Dienstherr selbst eine besondere Dringlichkeit offenbar nicht gesehen hat, als er die Abordnung am 07.07.04 mit Wirkung erst zum 01.01.05 angeordnet hat: Denn damit hat er es offenkundig als mit den dienstlichen Interessen vereinbar angesehen, dass der Beschwerdeführer zunächst für weitere fünfeinhalb Monate die ihm übertragene Aufgabe versieht. In rechtlicher Hinsicht übersieht das OVG aber vor allem, dass mit diesen Gründen zwar möglicherweise eine sofortige Entfernung des Beschwerdeführers aus seinem konkret funktionalen Amt gerechtfertigt werden könnte, damit aber nicht zugleich auch die Zumutbarkeit der Zuweisung an die Justizvollzugsanstalt W. entschieden ist. Auch diese ist aber vom Regelungsgehalt der Abordnungsverfügung erfasst und gerade hiergegen hat sich der Beschwerdeführer wiederholt und mit fachärztlichen Bescheinigungen gewandt. Erwägungen zur Zumutbarkeit oder Verhältnismäßigkeit der Abordnung gerade an diese Dienststelle finden sich in der angegriffenen Entscheidung jedoch nicht. Angesichts der ausführlichen und differenzierten Erwägungen des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses bestand hierzu aber bereits nach dem prozessualen Geschehensablauf hinreichend Anlass. Mit der vom 0VG vertretenen Auffassung vom generellen Wertungsvorrang des Sofortvollzugs wird daher nicht nur der grundrechtliche Maßstab für die Obersatzbildung verkannt, der Beschluss verfehlt vielmehr auch eine angemessene Würdigung der im konkreten Fall widerstreitenden Interessen.


Zur Ergänzung ein Hinweis auf eine häufig zitierte Entscheidung des OVG Saarland, in der dargelegt ist, dass es auch im öffentlichen Interesse liegt, gesundheitliche Probleme des Beamten zu berücksichtigen:

OVG Saarland, Beschluss vom 17.09.11 - 1 W 6 / 01 -
in: DÖD 2002, 125 f.

1. Der Dienstherr ist bei Ausübung seines Versetzungsermessens dem Beamten zur Fürsorge verpflichtet; er muss deshalb in seine Ermessenserwägungen auch Tatsachen aus dem persönlichen Bereich des Beamten einbeziehen, die gegen die Versetzung oder gegen deren Art oder Zeit sprechen.
2. Zu den hierzu zu berücksichtigenden Tatsachen - die folgt zusätzich aus dem vom Dienstherrn zu wahrenden öffentlichen Interesse an der möglichst langen Erhaltung der Dienstfähigkeit des Bediensteten - gehören deshalb auch die etwaige gesundheitliche Labilität und eine aus dieser sich bei der Versetzung des Beamten an einen anderen Dienstort ergebende potentielle Gefährdung seiner Dienstfähigkeit.
3. Der Dienstherr wird dabei die Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung durch den Ortswechsel, etwa gar einer vorzeitigen dauernden Dienstunfähigkeit des Beamten im allgemeinen nicht in Kauf nehmen dürfen.
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