Beschlagnahmen und Durchsuchungen im Disziplinarrecht
Zur Zulässigkeit von Beschlagnahme und Durchsuchung im Disziplinarverfahren hat sich das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 21.06.06, 2 BvR 1780/04, geäußert.
Nur selten wird diese Konstellation zum Gegenstand von Gerichtsentscheidungen, die dann veröffentlicht werden.
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat über ähnliche Rechtsfragen im Januar 2007 entschieden und dem Dienstherrn dabei erstaunlich viel Freiraum gewährt. Zugleich hat es sich bei der Bewertung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit für eine strenge Bewertung ausgesprochen, jedenfalls wenn der Beamte während einer Krankschreibung Geschäfte abwickelt:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.01.07, 3 B 11367/06.OVG
Personenbezogene Daten (hier: von eBay) dürfen für Ermittlungen im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ausgewertet werden, wenn diese generell eine Disziplinarmaßnahme von erheblichem Gewicht tragen können. Selbst bei Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen dürfen personenbezogene Daten verwertet werden.
Gegen einen Polizeibeamten, der krank gemeldet in erheblichem Umfang einer entgeltlichen Nebentätigkeit nachgeht, ist regelmäßig die schärfste Disziplinarmaßnahme auszusprechen.
Personenbezogene Daten (hier: von eBay) dürfen für Ermittlungen im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ausgewertet werden, wenn diese generell eine Disziplinarmaßnahme von erheblichem Gewicht tragen können. Selbst bei Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen dürfen personenbezogene Daten verwertet werden.
Gegen einen Polizeibeamten, der krank gemeldet in erheblichem Umfang einer entgeltlichen Nebentätigkeit nachgeht, ist regelmäßig die schärfste Disziplinarmaßnahme auszusprechen.
Der Dienstherr (Antragsteller) verdächtigte einen Polizeibeamten (den Antragsgegner), durch das Betreiben eines Internethandels eine Nebentätigkeit auszuüben, ohne die erforderliche Nebentätigkeitsgenehmigung zu besitzen.
Auf seinen Antrag erließ das Verwaltungsgericht eine Durchsuchungsanordnung betreffend die Wohnräume, Geschäftsräume usw. des Beamten.
Das OVG wies die Beschwerde des Beamten (Antragsgegners) gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts zurück.
Aus den Gründen:
Der angefochtene Beschluss war rechtmäßig. Das Verwaltungsgericht durfte gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 LDG die Durchsuchung der Wohnung und des Kellers des Antragsgegners anordnen.
Angesichts des mit einer Durchsuchungsanordnung regelmäßig verbundenen Grundrechtseingriffs (Art. 13 Abs. 1 GG) darf die Anordnung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 LDG nur dann getroffen werden, wenn der Beamte des ihm zur Last gelegten Dienstvergehens dringend verdächtig ist und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde (vgl. für die Regelung in § 27 Bundesdisziplinargesetz: BVerfG, Beschluss vom 21.06.06, NVwZ 2006, 1282).
Im vorliegenden Fall ist der erforderliche Verdacht für das Vorliegen eines vom Antragsgegner begangenen schwerwiegenden Dienstvergehens ebenso gegeben wie die Wahrung der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck.
Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für die Annahme besteht, der Beamte habe das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen, wobei für die obergerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses des Verwaltungsgerichts maßgeblich ist. Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung hat der Antragsgegner in dringendem Verdacht gestanden, durch das Betreiben eines Internethandels in einem erheblichen Umfang eine Nebentätigkeit auszuüben, ohne die hierfür nach § 73 Landesbeamtengesetz - LBG - erforderliche Genehmigung beantragt zu haben bzw. sie zu besitzen. Derartige Verdachtsmomente haben sich zunächst aus vom Dienstherrn mit Hilfe einer Internetrecherche über Google in Erfahrung gebrachten, allgemein zugänglichen Angaben ergeben. Die dabei erhaltenen Hinweise auf einen unter der E-Mail-Adresse und dem Festnetzanschluss des Antragsgegners betriebenen Versandhandel ließen einen zu weiteren Ermittlungen nötigenden Anfangsverdacht ohne weiteres zu.
Dabei scheitert das Vorliegen eines dringenden Verdachts im Sinne der oben dargestellten Grundsätze nicht an einem Verwertungsverbot der sodann vom Dienstherrn von eBay eingeholten Auskunft. Insbesondere stehen datenschutzrechtliche Bestimmungen einer Auswertung der vom Antragsteller zur wesentlichen Grundlage seines Durchsuchungs- und Beschlagnahmeantrags gemachten Auskunft und der als Anlage in elektronischer Form übermittelten Dateien nicht entgegen.
Rechtsgrundlage für die vom Antragsteller abgefragten Daten ist § 29 Abs. 1 Satz 1 LDG. Nach dieser Vorschrift bedient sich der Ermittlungsführer der Beweismittel, die er nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält. Er kann nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 LDG u. a. schriftliche Äußerungen von Zeugen einholen und Akten und Urkunden beiziehen. Da die Aufzählung - wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt - nicht abschließend ist, können darüber hinaus auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Satz 1 LDG auch elektronische Dateien eingesehen und die abgespeicherten Daten für weitere Ermittlungen ausgewertet werden. Somit ist das Übermittlungsersuchen des Antragstellers und die Nutzung der übermittelten Daten durch ihn datenschutzkonform.
Gleiches gilt für die Übermittlung der durch eBay auf dem zentralen Rechner dieser Internet-Plattform elektronisch gespeicherten Zugangskennungen, nach denen auf dem Namen des Antragsgegners bzw. der Beteiligten die Waren an- und verkauft wurden. Diese findet ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 3 Nr. 1 Bundesdatenschutzgesetz - BDSG -. Nach dieser Regelung ist die Übermittlung oder Nutzung von personenbezogenen Daten für einen anderen als der Erfüllung eigener Geschäftszwecke dienenden Zweck zulässig zur Wahrung berechtigter Interessen eines Dritten, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung oder Nutzung hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Das öffentliche Interesse an der Reinhaltung und Aufrechterhaltung der Vertrauenswürdigkeit der Beamtenschaft stellt ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 28 Abs. 3 Nr. 1 BDSG dar.
Die dienstrechtlichen Belange verdienen insofern grundsätzlich keinen geringeren Schutz als das öffentliche Interesse daran, strafrechtlich relevante Handlungen (z. B. im Rahmen von Internet-Auktionen) durch die Weitergabe von Daten, die geeignet sind, allein oder im Zusammenhang mit anderen Tatsachen den Nachweis einer Straftat zuzulassen, zu ermöglichen (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 2 BDSG). Die Disziplinarbefugnis des Dienstherrn darf nicht schon deshalb leer laufen oder auch nur schwere Einbußen erleiden, weil die für das Disziplinarverfahren zuständigen Stellen infolge einer strikten Wahrung des Datenschutzes durch eine Internet-Plattform wie eBay von wesentlichen Informationen über Dienstvergehen ihrer Beamten abgeschnitten wären. Dieses schutzwürdige Interesse des Antragstellers ist allerdings mit dem Recht des Antragsgegners und der Beteiligten auf informationelle Selbstbestimmung abzuwägen.
Da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ebenfalls einen hohen, letztlich in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG wurzelnden Rang hat (BVerfG E 65, 1 ff.), würde ein absoluter Vorrang der dienstrechtlichen Belange dem Rangverhältnis der betroffenen Schutzgüter nicht gerecht. Vor diesem Hintergrund ist bei der Abfrage von personenbezogenen Daten im Rahmen von Disziplinarermittlungen in Anlehnung an die in § 28 Abs. 3 Nr. 2 BDSG ausdrücklich als Zulässigkeitsgrund angegebene Strafverfolgung in erster Linie darauf abzustellen, ob die Vorgänge, deren disziplinare Überprüfung in Rede stehen, ihrer Art nach oder aus Gründen des Einzelfalles von erheblichem disziplinaren Gewicht sind. Dieses Gewicht muss eine nähere dienstrechtliche Prüfung der zugrunde liegenden Informationen grundsätzlich als unabweisbar erscheinen lassen. Von Letzterem ist in der Regel auszugehen, wenn für die Disziplinarbehörde auf der Grundlage einer vorläufigen Bewertung die dem Datenschutz unterliegenden Informationen generell geeignet sein könnten, eine im Disziplinarverfahren zu verhängende Maßnahme von erheblichem Gewicht zu tragen. Von derart gewichtigen Gründen wird man jedoch vorliegend ausgehen müssen.
Die noch vor der schriftlichen Anfrage bei eBay vom Antragsteller mittels einer Internet-Suchmaschine in Erfahrung gebrachten Informationen gaben, wie bereits dargestellt, Grund zu der Annahme, der Antragsgegner gehe in erheblichem Umfang einer gewerblichen Tätigkeit in Form eines Internethandels nach. Bei dieser Sachlage entsprach es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vor Durchführung einer Wohnungsdurchsuchung zunächst eine schriftliche Auskunft über die von eBay elektronisch gespeicherten Zugangskennungen sowie Anzahl und Umfang der unter den verschiedenen Kennungen erfolgten Transaktionen einzuholen. Denn bereits zu diesem Zeitpunkt durfte der Antragsteller - wie später noch auszuführen ist - mit Recht davon ausgehen, dass im Falle des Nachweises einer ungenehmigten Nebentätigkeit, möglicherweise sogar während der Zeit einer krankheitsbedingten Abwesenheit vom Dienst, die disziplinäre Höchstmaßnahme im Raum steht.
Selbst wenn bei der eingeholten Auskunft datenschutzrechtliche Bestimmungen verletzt worden wären, bestünde in Bezug auf die so erhaltenen Daten über Transaktionen des Antragsgegners aber auch kein Verwertungsverbot. Ausschlaggebend hierfür ist die Wertung des Gesetzgebers, der in der unzulässigen Abfrage von persönlichen Daten grundsätzlich nur eine Ordnungswidrigkeit - und nicht eine Straftat - sieht (vgl. § 43 Abs. 2 Nr. 4 BDSG). Nach der gesetzgeberischen Wertung sind in Widerspruch zu § 28 Abs. 3 Nr. 1 BDSG erhaltene Daten von daher grundsätzlich einer Aus- und Verwertung zugänglich.
Nach der danach in zulässiger Weise erhaltenen Auskunft war der Antragsgegner dringend verdächtig, während der Jahre 2003 bis 2006 in weit über tausend Fällen mit im Wesentlichen neuwertiger Ware gehandelt zu haben. Dabei handelt es sich überwiegend um sog. Filofax- Terminplaner und Kleidungsstücke der Firma P.. Sowohl An- als auch Verkauf der Ware fand nach den übersandten Listen nahezu durchgehend in einem Zeitraum statt, in dem der Antragsgegner wegen angeblicher Erkrankungen keinen Dienst verrichtete. Damit bestanden über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen weit hinausreichende Verdachtsgründe für die Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit trotz ärztlich bescheinigter Dienstunfähigkeit. Dies gilt insbesondere für die Zeit von Anfang 2003 bis zur vorläufigen Suspendierung des Antragsgegners im früheren Disziplinarverfahren am 01.09.04 und nach der zum 02.01.06 erfolgten Aufforderung zum Dienstantritt. Die allein in diesen Zeiträumen belegten An- und Verkäufe übersteigen nach Art und Umfang deutlich die Grenze der Verwaltung von Gegenständen privaten Vermögens im Sinne von § 74 Abs. 1 Nr.2 LBG.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses war nach Aktenlage auch weitgehend auszuschließen, dass die Beteiligte (und nicht der Antragsgegner) den Internethandel betreibt. Der Antragsgegner selbst hat diese anlässlich seiner Begutachtung durch Professor Dr. B. als herzkrank, gehbehindert und dement bezeichnet. Weitere Ermittlungen, ob der Internethandel tatsächlich durch eine 80-jährige Frau in dem vorliegenden Umfang allein durchgeführt werden konnte (was nach allgemeiner Lebenserfahrung eher unwahrscheinlich ist), waren für die Vorinstanz nicht veranlasst. Insbesondere hätte eine noch vor der Durchsuchungsanordnung hierzu eingeholte Stellungnahme des Antragsgegners den Ermittlungszweck gefährdet.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer war der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck, der bei einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung stets zu beachten ist, nicht verletzt. Die Maßnahme war geeignet, den Nachweis einer ungenehmigten Nebentätigkeit durch Betreiben eines Versandhandels zu führen. Sowohl elektronische Datenträger als auch Dokumente wie schriftliche Auftragsbestätigungen, Kontoauszüge, Nachweise über erfolgte Versendungen der verkauften Gegenstände und Ähnliches können dazu dienen, geschäftliche Tätigkeiten des Antragsgegners zu bestimmten Zeiten zu belegen.
Da mildere Maßnahmen wie die Einholung von weiteren Auskünften oder eine Observation bereits durchgeführt oder nicht Erfolg versprechend waren, ist der angeordneten Durchsuchung auch ihre Erforderlichkeit nicht abzusprechen. Insbesondere hätte es nicht ausgereicht, nur die dem Antragsteller zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits vorliegenden Daten von eBay auszuwerten. Abgesehen davon, dass die durchgeführten Transaktionen in den einzelnen Jahren unter verschiedenen Zugangskennungen erfolgten, ist für den Nachweis des Betreibens eines Internetsandhandels auch erforderlich, dass diese Tätigkeit, die bei einer Internetauktion im Wesentlichen anonym verläuft, dem Antragsgegner auch persönlich zugeordnet werden kann. Für diesen Nachweis sind neben den vorliegenden Transaktionsdaten auch die auf dem Computer des Antragsgegners gespeicherten Daten sowie weitere Belege erforderlich, die in verfassungsrechtlich zulässiger Weise jedoch nur durch eine Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung zu erhalten sind.
Schließlich steht der angefochtene Beschluss nicht zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme außer Verhältnis (§ 32 Abs. 1 Satz 2 LDG). Diese Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist regelmäßig gewahrt, wenn die vorliegenden Verdachtsmomente zumindest die Disziplinarmaßnahme einer Gehaltskürzung rechtfertigen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.06, a.a.O.). Eine Unverhältnismäßigkeit in diesem Sinne ist nicht ersichtlich. Sollte sich im Disziplinarverfahren zeigen, dass der Antragsgegner tatsächlich in erheblichem Umfang einen Internet-Versandhandel betrieben hat, läge eine ungenehmigte Nebentätigkeit vor. Sie würde im Hinblick auf seine krankheitsbedingten Fehlzeiten auch so schwer wiegen, dass die Entfernung aus dem Dienst, zumindest jedoch eine Zurückstufung in Betracht kommt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Senats verletzt ein Polizeibeamter, der in erheblichen Umfang einer entgeltlichen Nebentätigkeit nachgeht, obwohl er aus gesundheitlichen Gründen nicht dienstfähig ist, seine ihm auferlegten Dienstpflichten in einem so erheblichen Maße, dass regelmäßig die schärfste Disziplinarmaßnahme auszusprechen ist (vgl. zuletzt Urteil vom 09.12.05, 3 A 11300/05.0VG).