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Beschlagnahmen und Durchsuchungen im Disziplinarrecht


Zur Zulässigkeit von Beschlagnahme und Durchsuchung im Disziplinarverfahren hat sich das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 21.06.06, 2 BvR 1780/04, geäußert.
Nur selten wird diese Konstellation zum Gegenstand von Gerichtsentscheidungen, die dann veröffentlicht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat im Jahr 2023 über eine solche Sache entschieden.
Die Entscheidung hat insofern Bedeutung, als sie einen Weg aufzeigt, der zumindest zu einer vorläufigen Sicherung der Rechte des / der Betroffenen führen kann.


VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.04.23, DL 16 S 559/23

Aussetzung der weiteren Vollziehung einer erstinstanzlichen Durchsuchung bei fehlendem Abschluss der Durchsicht vorgefundener elektronischer Speichermedien

Leitsätze
Ist die Durchsicht der bei einer Wohnungsdurchsuchung vorgefundenen elektronischen Speichermedien noch nicht abgeschlossen, kann das Beschwerdegericht die weitere Vollziehung der vom Verwaltungsgericht angeordneten Durchsuchung vorläufig aussetzen, wenn die Beschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist und unter Berücksichtigung aller für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände zu erkennen ist, dass die sofortige Vollziehung den Betroffenen unzumutbar belastet beziehungsweise die Aussetzung auf Grund einer Folgenabwägung dringend geboten erscheint.

Tenor
Die weitere Vollziehung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 7. März 2023 wird bis zu einer Entscheidung des Senats über die Beschwerde des Antragsgegners insoweit ausgesetzt, als eine Sichtung, Auswertung und sonstige Verwertung der im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung am 15. März 2023 vorläufig beschlagnahmten Gegenstände und der darauf gespeicherten Daten vorläufig zu unterbleiben hat.

Gründe

Der Antrag des Antragsgegners auf „vorläufige Einstellung“ der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe angeordneten Durchsuchung, soweit sie noch nicht vollzogen wurde, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Die Durchsicht der bei der Wohnungsdurchsuchung vorgefundenen elektronischen Speichermedien auf für das disziplinare Ermittlungsverfahren relevante Daten ist Teil der angeordneten Durchsuchung (vgl. § 17 Abs. 1 LDG i.V.m. § 110 StPO; vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.02.2022 - DL 16 S 3321/21 -, n.v., amtl. Umdruck S. 2 m.w.N.; Beschluss vom 02.04.2019 - 1 S 982/18 -, NVwZ-RR 2019, 901 ), so dass diese – nachdem die Antragstellerin mitgeteilt hat, dass die Datensichtung insoweit noch nicht abgeschlossen sei – noch nicht vollständig vollzogen ist.

Der Senat lässt offen, ob die Befugnis des Beschwerdegerichts, die Vollziehung der mit der Beschwerde angefochtenen Entscheidung vorläufig auszusetzen, auf § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 570 Abs. 3 Hs. 2 ZPO beruht oder aufgrund der Sachnähe mit Blick auf die in § 17 Abs. 1 LDG vorgesehene entsprechende Anwendbarkeit der für Durchsuchungen geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung § 307 Abs. 2 StPO in analoger Anwendung heranzuziehen ist. Denn die Aussetzungsentscheidung kann – jeweils unter der Prämisse, dass einer Beschwerde im Grundsatz keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. § 570 Abs. 1 ZPO; § 307 Abs. 1 StPO; § 149 Abs. 1 VwGO) – im pflichtgemäßen Ermessen des Senats jedenfalls dann ergehen, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände zu erkennen ist, dass die sofortige Vollziehung den Betroffenen unzumutbar belastet (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.05.2014 - 9 S 359/14 -, n.v., amtl. Umdruck S. 3; BayVGH, Beschluss vom 08.04.2009 - 3 CE 09.795 -, juris Rn. 14) bzw. die Aussetzung auf Grund einer Folgenabwägung dringend geboten erscheint (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.11.2013 - 8 S 2239/13 -, NVwZ-RR 2014, 292 ). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Die weitere Vollziehung der angegriffenen Durchsuchungsanordnung und die damit verbundene Sichtung sämtlicher elektronischer Speichermedien des Antragsgegners stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dar, der unabhängig von der anschließenden (Nicht-)Verwertbarkeit der vorgefundenen Daten im Falle eines Erfolgs der Beschwerde nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Wird die Vollziehung dagegen vorläufig ausgesetzt und erwiese sich die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung später als unbegründet, würde damit lediglich eine Verzögerung der disziplinaren Ermittlungen für eine begrenzte Zeitspanne – namentlich bis zur Entscheidung des Senats über die Beschwerde – eintreten. Ein Beweisverlust hinsichtlich der vorläufig beschlagnahmten elektronischen Speichermedien und der darauf gespeicherten Daten wäre nicht zu befürchten, da mit der aus dem Tenor ersichtlichen Aussetzung der weiteren Vollziehung des angegriffenen Beschlusses nicht die Verpflichtung zur Rückgabe der Speichermedien einhergeht. Konkrete Anhaltspunkte für eine sonstige Dringlichkeit der sofortigen Auswertung der Daten, die über das grundlegende im Disziplinarverfahren geltende Beschleunigungsgebot hinausgehen und ein Abwarten der Beschwerdeentscheidung des Senats unzumutbar erscheinen lassen, hat die Antragstellerin nicht aufgezeigt.

Bei Abwägung der jeweiligen Folgen und Belange wiegen die möglichen Nachteile für den Antragsgegner schwerer als die durch die Aussetzung der weiteren Vollziehung eintretende vorübergehende Beschränkung der disziplinaren Ermittlungen. Hierbei verkennt der Senat nicht die gesetzgeberische Wertung, dass einer Beschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zukommt und eine Aussetzung der Vollziehung die Ausnahme bleiben muss. Gleichwohl erscheint hier die weitere Sichtung der elektronischen Speichermedien während des offenen Beschwerdeverfahrens für den Antragsgegner als unzumutbare Belastung. Demgegenüber wurde die Durchsuchungsanordnung bereits zu einem großen Anteil vollzogen, so dass die Aussetzung lediglich einen Teil der durch die gerichtliche Durchsuchungsanordnung vermittelten Befugnisse betrifft. Vor diesem Hintergrund ist die aus dem Tenor ersichtliche Aussetzung im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Erfordernisse der disziplinaren Ermittlung dringend geboten.

Die Aussetzung der Vollziehung kommt, auch wenn sie zur Vermeidung einer unzumutbaren Belastung dringend geboten erscheint, dann nicht in Betracht, wenn die Beschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Dies kann der Senat auf Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes jedoch ebenso wenig feststellen wie eine offenkundige Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung.

Die schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechte des Antragsgegners liegen auf der Hand und bedurften für den Erlass der vorliegenden Zwischenentscheidung in Gestalt der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung keiner weiteren Glaubhaftmachung. Auch das strenge Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO findet hier keine Anwendung, da es sich bei einer Beschwerde gegen eine gerichtliche Durchsuchungsanordnung nicht um eine Beschwerde im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO handelt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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