Kindesunterhalt: Orientierungsphase nach dem Abitur und zu Beginn des Studiums
Unterhaltsansprüche volljähriger Kinder (ab 18 Jahren) bestehen auch noch in bzw. ggf. nach einer Orientierungsphase nach Abschluss der Schulausbildung.
Auch ist ein Wechsel des Studiengangs vor Beginn des 3. Semesters unschädlich für den Unterhaltsanspruch.
[Dies sind vertretbare juristische Meinungen, Gerichte können anderer Auffassung sein.]
Zeit zwischen Abitur und Aufnahme des Studiums
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 03.05.18 - 10 UF 101/17 -
RN 40
Ein Unterhaltsanspruch des Antragsgegners dem Grunde nach besteht weiterhin. Denn der Antragsgegner kann von seinem Vater, dem Antragsteller, im Hinblick auf das ab Oktober 2016 absolvierte Studium Ausbildungsunterhalt nach § 1610 Abs. 2 BGB verlangen. Dieser Anspruch besteht, was vom Antragsteller letztlich grundsätzlich anerkannt wird, auch für die kurze Zeit zwischen dem Ablegen des Abiturs und der Aufnahme eines Studiums. Dass der Antragsgegner nach wie vor immatrikuliert ist, hat er nun durch Vorlage der Immatrikulationsbescheinigung nachgewiesen.
RN 41
Dem Ausbildungsunterhaltsanspruch des Antragsgegners steht der Wechsel des Studiengangs nach dem zweiten Semester nicht entgegen. Der Antragsgegner trägt hierzu vor, er habe den Studiengang Medieninformatik zwar zwei Semester lang absolviert, es habe sich aber um eine Fehlentscheidung gehandelt, weshalb er sich entschlossen habe, sein Studium im Studiengang Wirtschaftskommunikation an der H… fortzusetzen. Auch wenn der vom Antragsgegner insoweit vertretenen Auffassung, es sei unterhaltsrechtlich unschädlich, innerhalb der ersten vier Fachsemester den Studiengang zu wechseln, in dieser Absolutheit nicht gefolgt werden kann, ist die dem Auszubildenden zuzubilligende Orientierungsphase (vgl. hierzu Wendl/ Klinkhammer, Unterhaltsrecht, 9. Aufl., § 2 Rn. 77, 88) jedenfalls mit zwei Semestern zu bemessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass regelmäßig auch eine Überschreitung der üblichen Studiendauer um ein bis zwei Semester toleriert wird (Wendl/Klinkhammer, a.a.O., § 2 Rn. 85). Ein Überschreiten der Regelstudiendauer im Rahmen des Zweitstudiums wird sich der Antragsgegner aber im Hinblick auf das Gegenseitigkeitsprinzip (Wendl/Klinkhammer, a.a.O., § 2 Rn. 73) unterhaltsrechtlich grundsätzlich nicht mehr erlauben dürfen.
OLG Hamm, Beschluss vom 05.02.13 - 7 UF 166/12 -
Im Ausgangspunkt hat jedes Kind grundsätzlich Anspruch auf eine Berufsausbildung; das gilt insbesondere für die hier vorliegende Erstausbildung. Der Ausbildungsanspruch kann daher nur dann versagt werden, wenn das Kind nachhaltig über einen längeren Zeitraum seine Ausbildungsobliegenheit verletzt und den Eltern - nach deren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen - weitere Unterhaltsleistungen nicht mehr zugemutet werden können.
Danach hat ein Kind, das nach dem Schulabschluss nicht sogleich eine Ausbildung begonnen hat, um bspw. zur "Selbstfindung" eine Weltreise zu unternehmen, mangels Bedürftigkeit zunächst keinen Unterhaltsanspruch. Es ist vielmehr darauf zu verweisen, seinen Bedarf durch eigene (ungelernte) Arbeit oder aus eigenem Vermögen zu decken.
Dadurch verliert das Kind aber nicht ohne weiteres den Anspruch auf eine (dann später noch begonnene) angemessene Ausbildung. So kann auch ein 24-jähriges Kind jedenfalls dann eine Ausbildung oder ein Studium beginnen, wenn die Eltern unter Abwägung aller Umstände noch damit rechnen mussten, auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden.
Von einem jungen Menschen kann nicht unbedingt von Beginn an eine zielgerichtet richtige Entscheidung in der Frage der Berufswahl erwartet werden. Dem Kind ist deshalb in der Regel eine Orientierungsphase zuzubilligen, deren Dauer unterschiedlich ist und sich nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen richtet (W/S-Scholz, § 2, Rn. 77, 88; Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, § 6, Rn. 255 u Fn 970: 3 Semester). Die Kasuistik setzt beim Studium eine Grenze nach zwei, höchstens drei Semestern, wobei aber auch hier die besonderen Umstände des Einzelfalles zu beachten sind.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.03.12 - 2 WF 174/11 -
In der Übergangszeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiterführenden Ausbildung oder eines Studiums besteht in der Regel keine Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten volljährigen Kindes. Das Kind kann vielmehr nach dem Ende der Schulzeit im Regelfall eine gewisse Erholungsphase für sich in Anspruch nehmen. Dies gilt aber nicht für eine Pause von zwei Monaten zwischen der Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres und dem Beginn einer Berufsausbildung.