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Konkurrentenschutz in Hamburg - wann sind Beurteilungen gleich gut?

Natürlich sind wir mit diesen Fragen vorwiegend im norddeutschen Raum befasst, überwiegend in Hamburg.
So hat für uns die Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts besondere Bedeutung.
Das Gericht hat sich wiederholt zu dem Beurteilungssystem der Polizei Hamburg geäußert, welches sich im Laufe der Jahre mehrfach gewandelt hat.
Aus dem Jahr 2021 stammt die folgende, nur in Auszügen wiedergegebene Entscheidung:


Der aktuelle Stand der Dinge

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.07.21 - 5 Bs 139/21 -

Randnummer 21
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Antragsteller bei Heranziehung des Beurteilungsentwurfs zwar aufgrund des Gesamturteilsprädikats von 6 Punkten im ersten Schritt als leistungsgleich mit den anderen Bewerbern mit 6 Punkten anzusehen wäre. Anders wäre es jedoch bei einem dann vorzunehmenden Vergleich durch Auswertung der inhaltlichen Ausgestaltung und Berücksichtigung der Einzelkriterien sowie der Doppelgewichtung der Kernanforderungen. Während der Beigeladene mit 122 Punkten bewertet worden sei, bekäme der Antragsteller, die Bewertungen des Entwurfs zu Grunde gelegt, nur 118 Punkte. Auch diese Annahme erschüttert die Beschwerdebegründung nicht.
Randnummer 22
Das Argument des Antragstellers, das Verwaltungsgericht hätte für einen hypothetischen Vergleich auf der Grundlage des Beurteilungsentwurfs nicht eine inhaltliche Auswertung unter Berücksichtigung der Einzelkriterien und Doppelgewichtung der Kernanforderungen vornehmen dürfen, sondern eine inhaltliche Ausschärfung der dienstlichen Beurteilungen anhand der für die ausgeschriebenen Stellen maßgeblichen Kriterien vornehmen müssen, überzeugt nicht. Ziffer 7 BefRLPol gibt die für die Auswahl für das Beförderungsamt A 11 im Laufbahnabschnitt II im Rahmen der Bestenauslese anzuwendenden Kriterien ausdrücklich in einer bestimmten Reihenfolge vor. Ausweislich dieser Bestimmung ist im Falle der Leistungsgleichheit nach dem Gesamturteilsprädikat in der aktuellen Beurteilung (Nr. 1) vorrangig eine inhaltliche Auswertung der aktuellen Beurteilung unter Berücksichtigung der Einzelkriterien und Doppelgewichtung der Kernanforderungen vorzunehmen (Nr. 2). Erst nachrangig zu dieser inhaltlichen Auswertung, also erst im Falle eines weiteren Leistungsgleichstands, ist eine Ausschärfung der aktuellen Beurteilung anhand der besonderen Anforderungen des ausgeschriebenen Dienstpostens vorgesehen (Nr. 3). Dies entspricht auch der Festlegung der Kriterien für die Vorauswahl und deren Reihenfolge einschließlich der Anwendung der Kriterien durch die Auswahlkommission (Protokoll der Vorauswahl vom 23.11.20, S. 2 und S. 15 f.).
Randnummer 23
Soweit der Antragsteller darüber hinaus geltend macht, die Bewertung wäre auch bei einem Punkteabstand von vier Punkten zum Beigeladenen als im Wesentlichen gleich anzusehen, und hierzu auf die Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (OVG Hamburg, Beschl. v. 28.2.2007, 1 Bs 380/06, juris) verweist, greift auch dies nicht durch. Die Auswahlkommission hat festgelegt, dass im Bereich der inhaltlichen Auswertung drei Punkte Unterschied als „im Wesentlichen gleich“ und mehr als drei Punkte Unterschied nicht mehr als „im Wesentlichen gleich“ zu berücksichtigen seien (Protokoll der Vorauswahl vom 23.11.2020, S. 3 und S. 16). Daran anknüpfend hat das Verwaltungsgericht die Bewertung des Beigeladenen mit 122 Punkten sowie des Antragstellers mit 118 Punkten nicht als „im Wesentlichen gleich“ angesehen. Dies steht entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht im Widerspruch zu der von ihm angeführten Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (OVG Hamburg, Beschl. v. 28.2.2007, 1 Bs 380/06, juris).
Randnummer 24
In dieser Entscheidung hatte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht angenommen, bei einer Bewertung nach 16 Beurteilungsmerkmalen mit einer Punkteskala von jeweils 1 bis 5 besage ein Vorsprung von zwei Punkten nicht hinreichend zuverlässig, dass der Bewerber mit dem höheren Punktestand signifikant besser geeignet sei (OVG Hamburg, a.a.O., Rn. 7). Aus dieser Entscheidung folgt nicht, dass nach dem aktuellen Beurteilungssystem für den Polizeivollzugsdienst der Antragsgegnerin ein Unterschied von mehr als drei Punkten als „im Wesentlichen gleich“ angesehen werden muss.
Randnummer 25
Die Beantwortung der Frage, wann zwei Beurteilungen im Vergleich als im Wesentlichen gleich einzustufen sind, hängt vom jeweiligen Aufbau der Bewertungsstufen eines Beurteilungssystems, insbesondere vom Vergleich der Gesamturteile bzw. einer Binnendifferenzierung innerhalb des Gesamturteils ab (Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 7. Auflage 2020, S. 398).
Während beim seinerzeitigen Beurteilungssystem keine Gesamtnoten gebildet wurden, innerhalb derer eine Binnendifferenzierung hätte vorgenommen werden können, sondern sich der Wert der bis zu 80 erreichbaren Punkten aus der Addition der Punktzahlen für die einzelnen 16 Beurteilungsmerkmale ergab (OVG Hamburg, a.a.O.), sind nach dem aktuellen Beurteilungssystem 17 Einzelkriterien zu bewerten, aus denen ein Gesamturteil zu bilden ist (Ziffer 13 Abs. 1 BeurtRL-Pol). Bei der Bildung des Gesamturteils sind für die Statusämter A 7 bis A 11 die statusamtsbezogenen Kernanforderungen Urteilsvermögen/Problemlösefähigkeit, Qualität der Arbeitsergebnisse, Arbeitsmenge und Fachliche Kenntnisse doppelt zu gewichten (Ziffer 13 Abs. 4 lit. a BeurtRL-Pol). Wie bereits ausgeführt, erfolgt die Auswahl für das Beförderungsamt A 11 im Laufbahnabschnitt II nach Ziffer 7 BefRLPol zunächst nach der aktuellen Beurteilung (Nr. 1) und sodann nach der inhaltlichen Auswertung der aktuellen Beurteilung unter Berücksichtigung der Einzelkriterien und Doppelgewichtung der Kernanforderungen (Nr. 2). Das in Ziffer 7 Nr. 2 BeurtRL-Pol genannte Kriterium dient also der Binnendifferenzierung. Dabei können bei einer Punkteskala von 1 bis 6 und 17 Einzelkriterien, von denen vier als Kernanforderungen doppelt zu gewichten sind, bis zu 126 Punkte erreicht werden. Angesichts dieser Entscheidung für ein stark binnendifferenziertes Beurteilungssystem, mit der der Dienstherr zum Ausdruck bringt, dass er eine leistungsbezogene Reihung der Beamtinnen und Beamten anstrebt und diese auch für personelle Entscheidungen nutzbar machen will (vgl. Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 7. Auflage 2020, S. 398), ist es nicht zu beanstanden, einen Unterschied von mehr als drei Punkten nicht mehr als „im Wesentlichen gleich“ anzusehen.

Die frühere Entscheidung, auf die sich unsere Darstellung eigentlich gründet(e)

Die nachstehende Entscheidung aus dem Jahr 2008 war natürlcih nicht auf das aktuelle Beurteilungssystem bezogen, lässt sich aber "analog anwenden". Und es gibt in anderen Bereichen noch Systeme wie das dieser Entscheidung zugrunde liegende (Beurteilung mit Punktwerten von 1 bis 5) und ähnliche Fragestellungen, etwa danach, wann Beurteilungen einen signifikanten Leistungsunterschied erkennen lassen.
Hierzu äußert sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in einem Beschluss vom 23.01.17 mit dem Aktenzeichen 4 S 2241/16. Punktunterschiede von 0,07 oder 0,09 hält der VGH BW nicht für signifikant. Er äußert sich ferner unter Beachtung der neueren Rechtsprechung zur Bedeutung der Gesamtnote und zu der Einbeziehung einer Befähigungsanalyse in die Endnote: "Die Einbeziehung der Beurteilung der Befähigungsmerkmale in eine Gesamtsaldierung widerspricht zudem dem Sinn der Befähigungsanalyse, mit der individuelle Stärken und Schwächen des Beamten herausdifferenziert werden sollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.03.15 - 2 C 12.14 -)."
Diese Auffassung hat das Bundesverwaltungsgericht inzwischen als unzutreffend bezeichnet: Befähigungsmerkmale seien ggf. sehr wohl in die Gesamtnote einzubeziehen.
Grundsätzlich kann man heute davon ausgehen, dass die zu vergleichenden Beurteilungen sehr differenziert betrachtet werden müssen. Aber immer noch rechnet man in Punktwerten:
Beschluss des Hamburgischen OVG - 1 Bs 54/ 08 - vom 15.07.08

Eine Entscheidung zu den Auswahlverfahren A 12 bei der Polizei Hamburg und in diesem Zusammenhang zu dem Beurteilungssystem, das etwa ab Beginn 2008 galt, bis es im Jahr 2010 wieder geändert wurde.

Beurteilungen der Bewerber sind jedenfalls dann nicht mehr als im Wesentlichen gleichwertig anzusehen, wenn der Endpunktwert der Beurteilung des einen Bewerbers um 0,2 Punkte höher ist als der des anderen.

Es ist jedoch die in den Beurteilungen enthaltene Potenzialeinschätzung in die Betrachtung einzubeziehen.

Offen bleibt, in wie weit unterschiedliche Durchschnittswerte der Beurteilungen an unterschiedlichen Polizeikommissariaten eine Rolle bei der Entscheidung spielen können.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zumindest in der Situation unmittelbar nach der Einführung einer neuen Beurteilungsrichtlinie, die durch die Unsicherheiten bei der Anwendung sowie dadurch geprägt ist, dass die Beachtung gleichmäßiger Beurteilungsmaßstäbe noch nicht gesichert in allen Bereichen der Polizei durchgesetzt werden kann, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin bei der Einschätzung von Leistungsbeurteilungen als im Wesentlichen gleich einen Abstand erst ab 0,2 Punkten von 5 möglichen Punkten nicht mehr akzeptiert. Denn eine solche Abweichung im Leistungsbereich bedeutet je nach Anzahl der bewerteten Leistungskriterien, dass der schlechter beurteilte Bewerber hinsichtlich drei bis fünf Leistungskriterien einfacher Wertung um einen Punkt schlechter beurteilt worden ist. Auch wenn die Abweichung ausschließlich die doppelt gewerteten Kriterien der Kernanforderungen betrifft, bedeutet eine Differenz von 0,2 Punkten von 5 möglichen, dass die Abweichung hinsichtlich zweier Kriterien der Kernanforderungen jeweils einen Punkt beträgt.
Bei einer derartigen Leistungsdifferenz in den Anlassbeurteilungen können Bewerber nicht mehr als hinsichtlich ihrer Beurteilungen im Wesentlichen gleich eingeschätzt werden.

Angesichts der bei der Bewerberauswahl zu berücksichtigenden Potentialeinschätzungen, die einen selbständigen Teil der Beurteilung ausmachen, gilt dies allerdings nur, wenn die Potentialeinschätzung des im Leistungsbereich schlechter beurteilten Bewerbers hinsichtlich der für die ausgeschriebenen Stelle maßgeblichen Kriterien des Anforderungsprofils nicht besser ausfällt als die Potentialeinschätzung des hinsichtlich seiner Leistung am besten beurteilten Bewerbers.
Ob Potentialeinschätzungen, die von der Leistungsbeurteilung aus besonderen festgestellten Gründen (vgl. Ziff. 6.2 der 8eurteilungsrichtlinie vom 13.03.07) zu Gunsten des Beamten abweichen [können], einen Ausgleich bei der Gesamtbewertung zu schaffen vermögen, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. ...

Es kann ebenso dahin stehen, ob möglicherweise trotz eines Abstands von mehr als 0,2 Punkten noch von einer im wesentlichen gleichen Leistungsbeurteilung gesprochen werden kann, wenn der Bewerber an einem Polizeikommissariat beurteilt worden ist, an dem der Durchschnitt der Leistungsbeurteilungen 0,2 Punkte oder mehr von dem Beurteilungsdurchschnitt der Leistungsbeurteilung derjenigen Polizeikommissariate abweicht, die den besten Beurteilungsdurchschnitt aufzuweisen haben. ...

Keiner Entscheidung bedarf im vorliegen Verfahren auch die Frage, ob die in den Beurteilungsrichtlinien vorgesehene Anlehnung der Beurteilungen an die Gaußsche Normalverteilungskurve geeignet ist, in der Praxis einen Konformitätszwang zu verursachen, der sich abträglich auf den einzelnen Beamten auswirken kann. Denn im vorliegenden Verfahren ist nicht vorgetragen worden und auch weder aus der Beurteilung selbst noch aus sonstigen Gründen erkennbar, dass die Maßstabswahrung bei der Leistungsbeurteilung infolge der Anwendung der Gaußsehen Normalverteilung bei der Vergabe der Leistungspunkte im Falle des Antragstellers dazu geführt hat, dass seine Leistungsbeurteilung schlechter ausgefallen ist als von den Beurteilern eigentlich vorgesehen,

Zutreffend führt der Antragsteller aus, dass die Potentialbewertung und deren Berücksichtigung bei der Auswahlentscheidung nicht nur als Hilfskriterium für die Auswahl zu verstehen ist. Solchermaßen hat die Auswahlkommission die Potentialeinschätzung auch nicht verstanden. Es heißt dort: "der Bewerber X. und die weiteren Bewerber sind auf Grund des Abstandes in der Leistungsbeurteilung von 0.2 Punkten und mehr, in Verbindung mit dem Rang Potential, als nicht mehr im Wesentlichen gleich anzusehen".
Aus diesen Ausführungen wird die Grundannahme der Auswahlkommission und damit der Antragsgegnerin deutlich, bei der Auswahl davon auszugehen, dass neben der Leistungsbewertung in den dienstlichen Beurteilungen auch die Potentialeinschätzungen der einzelnen Bewerber bezogen auf die für den ausgeschriebenen Dienstposten maßgeblichen Anforderungsprofile von entscheidender Bedeutung sind. Dies entspricht nicht nur dem Sinn und Zweck der Potentialeinschätzung, wie sie aus der Richtlinie zum Personalbeurteilungssystem für den Polizeivollzugsdienst der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13.03.07 zu ersehen sind. Sondern es entspricht auch dem Umstand, dass die dienstlichen Beurteilungen sich nicht nur auf die Leistungsbeurteilung beschränken, sondern darüber hinaus Potentialeinschätzungen enthalten und daher beide Komponenten der dienstlichen Beurteilung bei der Bewerberauswahl zu berücksichtigen sind.
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